Mehr Schein als Sein

Erste Bewertung des Entwurfs der Landesregierung und eigene Vorschläge für den Doppelhaushalt 2018/2019 durch die Vorsitzende der Linksfraktion, Simone Oldenburg, und die finanzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Jeannine Rösler:

Oldenburg: Die Landesregierung gibt stets vor, bereits alles zu tun, was für das Land erforderlich ist. Ihre Vertreterinnen und Vertreter werden nicht müde, bei jeder Gelegenheit ihre angeblich guten Taten im Haushalt zu verkaufen, zum Beispiel die minimale Elternentlastung bei der Kindertagesbetreuung, wenige neue Stellen bei der Polizei oder scheinbare Extragelder für die Kommunen.

Wir müssen feststellen: Im Entwurf der Landesregierung für den Doppelhaushalt herrscht mehr Schein als Sein. Die in Zahlen gegossene Politik der Landesregierung versagt an entscheidenden Stellen.

Der Entwurf des Doppelhaushalts zeichnet ein Bild der Mutlosigkeit. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Landesregierung bereits im Winterschlaf befindet. Betroffen sind vor allem Investitionen in Kinder, Jugendliche und die Bildung. Gerade in diesen Bereichen ist eine selbstbewusste Politik dringend erforderlich. Nicht Kleckern, sondern Klotzen – das ist das Gebot der Stunde. Dies ist bei der Finanzlage des Landes auch machbar. Zum einen sprudeln die Steuereinnahmen. Zum anderen hat das Land eine großzügige Ausgleichsrücklage von mehr als einer Milliarde Euro. Hinzu kommt, dass die Landesregierung angstgesteuert bei den Steuereinnahmen in den kommenden Jahren einen so genannten Sicherheitsabschlag in Höhe von 180 bis 200 Mio. Euro vornehmen will. Das Land rechnet sich ärmer als es ist.

Rösler: Wir sehen viel Luft im Haushalt und einen viel zu lockeren Umgang mit Haushaltswahrheit und -klarheit. Statt Geld in dreistelliger Millionenhöhe im dunklen Keller zu bunkern, muss es im Land klug investiert werden. Jeder Euro, der Entwicklung befördert, ist bestens angelegt. Anders als die Landesregierung, die 75 Prozent der möglichen Haushaltsüberschüsse für die Schuldentilgung und 25 Prozent für Investitionen hernehmen will, wollen wir die Mittel für wichtige Investitionen auf 50 Prozent der Überschüsse erhöhen. Dies ist etwa zur Unterstützung und Gestaltung der ländlichen Räume zwingend erforderlich. Wir müssen in Zeiten von Haushaltsüberschüssen kräftig investieren, und zwar dort, wo Potenziale gehoben werden können. Die neue Vorpommernförderung ist ein Witz. Die Landesregierung macht ein großes Tamtam über gerade mal 3 Mio. Euro, die hinten und vorne nicht reichen – auch hier herrscht mehr Schein als Sein.

Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir rechnen können und Haushaltskonsolidierung für uns kein Fremdwort ist. Eine Kreditaufnahme kommt für diesen Doppelhaushalt nicht in Frage. Wir wollen, dass sowohl der Haushalt des Landes als auch die Haushalte der Kommunen auskömmlich finanziert sind. Das geht nicht ausschließlich über Einsparungen! Das geht vor allem über zusätzliche Steuereinnahmen. Die großen Vermögen und Einkommen müssen endlich stärker besteuert werden. Deshalb werden wir nicht müde, die Landesregierung aufzufordern, in diesem Sinne endlich aktiv zu werden. Schöne Reden nützen nichts: Initiative muss her.

Unsere Vorschläge für den Doppelhaushalt:

Kita. Die von der Landesregierung versprochene Elternentlastung für Kinder in der Kita ist zu kurz gesprungen. Erst werden die Eltern lange hingehalten, dann mit einem kleinen Betrag angefüttert und letztlich werden Entlastungen wieder durch Kostensteigerungen aufgefressen. Das Land muss mehr Verantwortung übernehmen. Wir fordern die komplette Beitragsfreiheit für die Kita. 1. Schritt: Kostenfreiheit für Eltern von 3- bis 6-jährigen Kindern – 50 Mio. Euro

Gleichzeitig muss die Fachkraft-Kind-Relation im Hort verbessert werden.  M-V ist bundesweit Schlusslicht bei der Fachkraft-Kind-Relation in den Kitas. Wir fordern mehr Qualität in der Betreuung durch bessere Betreuungsschlüssel und mehr Zeit für jedes einzelne Kind. Betreuungsschlüssel im Hort auf 1:18 – 14 Mio. Euro.

Kinderkarte. Alle reden davon, dass Kinder eine chancengleiche Entwicklung brauchen. Wenn es dann konkret wird – Pustekuchen. Wir wollen in einem ersten Schritt einen selbstbestimmten Zugang zu Freizeit-, Kultur-, Bildungs- und Sportangeboten. Jedes Kind zwischen 6 und 16 Jahren erhält eine Kinderkarte unabhängig vom Elterneinkommen, ein monatliches Budget in Höhe von 50 Euro, abrufbar für die Mitgliedschaft in Sportvereinen, den Besuch von Musikschulen, die Teilnahme an Kunst- und Kulturveranstaltungen, Freizeitangeboten oder auch Nachhilfeunterricht. Einführung einer Kinderkarte für M-V70 Mio. Euro.

Schule. Bildung. In der Bildung wird wie bisher nur gekleckert. Wir müssen klotzen. Große Probleme wie der Unterrichtsausfall aufgrund fehlender Lehrerinnen und Lehrer sowie das Arbeiten der Lehrkräfte an ihrer Belastungsgrenze werden damit kaum aufgelöst. Wir fordern seit Jahren ein Vertretungsbudget für Lehrerinnen und Lehrer. Damit kann Unterrichtsaufall vermieden und die Mehrarbeit bei Lehrerinnen und Lehrern ab der ersten Stunde bezahlt werden. Jede Lehrkraft würde eine Wochenstunde mehr vergütet bekommen, um die Vertretungsstunden, die sie über das Schuljahr hinweg lehrt, auch abzugelten. Vertretungsbudget einführen – 22 Mio. Euro.

Die Grundlagen für gutes Lernen und einen erfolgreichen Schulabschluss werden in der Grundschule gelegt. Zur Verbesserung der Grundlagen in der Fächern Deutsch und Mathematik schlagen wir jeweils eine weitere Stunde Deutsch in der Klassen 2 bis 4 vor und eine weitere Stunde Mathematik in den Klassen 1und 2. 

Die bereits von der Landesregierung verkündete Deutschstunde mehr in Klasse 1 und 2 ist ein richtiger Schritt. Dieser Minischritt kann nur ein Anfang sein. Die Landesregierung muss endlich begreifen, dass gute Kenntnisse in Deutsch und Mathe elementar für eine gute Schulbildung sind.

Für die Lehrkräfte muss wieder die Möglichkeit der Altersteilzeit geschaffen werden. Diese muss nichts kosten und würde die Attraktivität des Berufes entscheidend erhöhen. Mehr Unterricht an der Grundschule – 18 Mio. Euro.

Jugend- und Schulsozialarbeit. Die Jugend- und Schulsozialarbeit ist für die Landesregierung ein Stiefkind. Trotz großspuriger Ankündigung der Sozialministerin im April dieses Jahres, das Kinder- und Jugendfördergesetz zu ändern, ist bislang nichts passiert. Auch im Doppelhaushalt ist von einer erforderlichen Stärkung nichts zu finden. Die Kinder- und Jugendarbeit sowie die Jugendsozialarbeit müssen flächendeckend ausgebaut und dauerhaft sichergestellt werden. Bei der Schulsozialarbeit wurde durch die Landesregierung in Kauf genommen, dass BuT-finanzierte Stellen an den Schulen wegbrechen. Und ein dauerhaftes Konzept zur Sicherung der Schulsozialarbeit im Land liegt bis heute nicht vor. Förderung auf 6- bis 26-jährige ausweiten und Grundförderung auf 10 Euro pro Kopf erhöhen. Sofortige Sicherung der Stellen in der Schulsozialarbeit und mittelfristig Ausbau der Stellen – 5 Mio. Euro.

Arbeitsmarkt. Die Landesregierung darf nicht länger die Augen vor der nach wie vor hohen Langzeitarbeitslosigkeit verschließen. Sie muss endlich aktiv bekämpft werden. Sowohl junge als auch ältere Menschen und Akademiker, die bereits seit Jahren ohne Beschäftigung sind, brauchen Unterstützung u.a. durch Finanzierung gemeinwohlorientierter Arbeit, ein Gemeindearbeiter-Programm und ein Campus-Projekt, das speziell arbeitslose Akademiker in den Arbeitsmarkt zurückführt.  Integration Langzeitarbeitsloser – 5 Mio. Euro.

Soziale Wohnraumförderung. Die Landesregierung versteckt große Summen, die vom Bund u.a. für die Soziale Wohnraumförderungdem Land zur Verfügung gestellt werden. Endlich Transparenz im Haushalt schaffen! Alle finanziellen Mittel des Bundes müssen auch zweckgebunden für die soziale Wohnraumförderung eingesetzt werden. Dann hätten wir 21,3 Mio. Euro pro Jahr mehr, um das Aufzugsprogramm und die Mittel für den Abbau von Barrieren im Wohnungsbestand aufzustocken und soziale Mieten zu sichern. Weitere zig Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung stünden zur Verfügung, wenn die Landesregierung auch die Einnahmen aus Zinsen und Tilgungen der Wohnungsunternehmen nutzen würde, die aus früheren Wohnungsbaudarlehen jährlich in den Haushalt fließen. Würden alle Einnahmequellen genutzt, stünden jährlich über 200 Mio. Euro für Wohnraumförderung zur Verfügung!

ÖPNV. Kostenfreie Fahrt für Schüler und Azubis. ÖPNV darf sich nicht mehr weitgehend auf die Schülerbeförderung beschränken. Der ÖPNV braucht eine Initialzündung, um langfristig die Mobilität für alle in ganz M-V sichern zu können. Für eine deutliche Ausweitung des Angebotes ist mehr Geld nötig. Die Mittel sollen den Aufgabenträgern – Landkreisen und kreisfreien Städten – direkt zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug können Schüler und Azubis mit dem Mobi-Pass alle ÖPNV- und SPNV-Angebote kostenfrei nutzen. Kinder und Jugendliche können damit auch außerhalb der Schulzeit, an den Wochenenden und in den Ferien mobil sein. ÖPNV soll eine Alternative zum eigenen Auto sein – bezahlbar und umweltschonend. Mobi-Pass für Kinder und Jugendliche – 63 Mio. Euro.

Ländliche Räume. Es gibt kaum neue Impulse durch die Landesregierung für die Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in M-V. Seit einem Jahr und erst recht im Wahlkampf mimen CDU und SPD den großen Retter der ländlichen Räume. Der Landwirtschaftsminister erklärte, am Geld solle es nicht liegen, wenn Kommunen Ideen für die Entwicklung hätten. Wir fragen uns, wo die gönnerhaften Geldgeschenke im Haushalt versteckt sind. Und die „Milchtüte“ vom Infrastrukturminister füllt sich auch nicht auf die Weise, wie es wirklich erforderlich wäre. Das Sondervermögen „Strategiefonds des Landes M-V“ speist sich aus 25 Prozent möglicher Haushaltsüberschüsse. Wir wollen, dass mindestens 50 Prozent der Überschüsse in einen solchen Fonds fließen. Regionalbudgetsaus dem Strategiefonds – 50 Mio. Euro.

Tierschutz. Die Begrenzung der investiven Förderung auf einen maximalen Fördersatz des Landes von 50 Prozent lehnen wir ab. Es muss bei einer 90-prozentigen Förderung der Investitionen für Tierheime bleiben. Die Streichung der Mittel für Kastration von freilebenden Katzen muss zurückgenommen werden. Sie müssen von 20 000 auf 40 000 Euro erhöht werden

Prävention. Gesundheit. Präventive Maßnahmen sind im Doppelhaushalt nicht ausreichend berücksichtigt und finanziert. Zum Beispiel ist eine Stärkung der Kriminalitätsvorbeugung und der Gesundheitsprävention angezeigt. Vorsorge ist besser als Nachsorge. Und Vorsorge spart mittel- und langfristig Geld. Stärkung der Polizeiliche Prävention, der Kriminalitätsvorbeugung und des Präventionsprojektes Grenzkriminalität – 80 000 Euro.

„Viel Lärm um nichts!“ gibt’s auch beim Kampf gegen den Ärztemangel auf dem Lande. Die eingestellten Mittel für Stipendien reichen gerade mal für 13 angehende Ärzte. Aufstockung der Mittel „Stipendien für Ärzte auf dem Lande“ von 50 000 auf 150 000 Euro in 2018 und 250 000 Euro in 2019 (per 1.7.2017 Bedarf an 125 Hausärzten; 1164 z.Z.; durchschn. Alter 53,2 Jahre; ältester prakt. Arzt 80 Jahre).

„Wer Unkraut sät, drischt kein Getreide!“ In Gesundheitsförderung und Prävention bleibt die Landesregierung meilenweit hinter den Erfordernissen zurück. So lässt sich die gesundheitliche Situation der Bevölkerung langfristig nicht spürbar verbessern. Aufstockung der Gesundheitsförderung und Prävention um 500 000 in 2018 und um 750 000 Euro in 2019.

„Worte, Worte, nichts als Worte!“ Die Landesregierung löst den Investitionsstau in der Krankenhauslandschaft nicht auf. Sie nimmt ein „Wirtschaften auf Substanzverlust“ hin. Erhöhung der pauschalen Krankenhausförderung um jährlich 1,5 Mio. Euro, Einrichtung eines Geburtshauses gemeinsam mit Motherhood e.V. sowie Sicherung der Geburtenstationen an gefährdeten Standorten.

Kommunale Finanzausstattung. Versprochen war eine grundlegende Novelle des Finanzausgleichsgesetzes (FAG). Davon ist heute keine Rede mehr. Es bleibt bei einem Reförmchen, das keine spürbare Verbesserung für die Kommunen bringt. Die bislang gezahlte Sonderhilfe in Höhe von rund 40 Mio. Euro, die in diesem Jahr ausläuft, wird durch eine Aufstockung der FAG-Masse nicht einmal ausgeglichen. 34 Mio. Euro pro Jahr kommen nunmehr direkt in das System. Das entspricht einer Erhöhung der Beteiligungsquote um 0,5 Prozent. Erhöhung der Beteiligungsquote um mindestens weitere 0,5 Prozent, damit die Kommunen tatsächlich mehr Geld haben – 35 Mio. Euro.

Erst damit wäre ein Anfang gemacht, um die Pro-Kopf-Zuweisungen tatsächlich zu stärken. Es ist zudem ein Hohn, dass die Landesregierung es als Erfolg verkauft, wenn sie die vereinbarten Entlastungsmittel des Bundes (für M-V 85 Mio. Euro) vollständig an die Kommunen weitergibt. Diese Mittel stehen den Kommunen hundertprozentig zu – ohne Wenn und Aber. Wir erwarten, dass die zugesagten Entschuldungshilfen – 36,7 Mio. Euro in 2018 und 33,5 Mio. Euro in 2019 – unbürokratisch und rasch bei den hoch verschuldeten Kommunen ankommen. Sie haben das Geld bitter nötig. Es nützt gar nichts, wenn diese Gelder jetzt in einem Fonds lange vor sich hin schmoren.